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«Du bist süchtig, Süsser!»

06.08.2014

Ein leichtes, unangenehmes Zittern in den Fingern macht sich breit. Kopfschmerzen und leichte Panikattacken krabbeln im Hinterkopf. Es ist tiefe Nacht. Alle Läden sind geschlossen. Ausser... ja, die Tankstelle ist noch geöffnet...

Mit vorsichtigen, aber zittrigen Bewegungen öffne ich das Zellophanpapier. Kaum liegt sie offen da, sucht sich der Geruch den Weg in meine Nasenhöhlen. Das Zittern ebbt etwas ab, dafür schwellen die Geschmackszellen vor Freude zur doppelten Grösse auf.

Die Symptome sind eindeutig und weisen auf ein starkes Suchtverhalten hin. Der Unterschied zu Heroin- oder Kokainabhängigen ist nicht gross. Ist mal kein Zucker zu haben - in welcher Form auch immer - dann beginnt die innere Unruhe, ein Zittern in den Händen, heftiges Herzrasen, starke Kopfschmerzen und ungewohnte Schweissausbrüche. Alles nur wegen Zuckermangel? Aber sicher doch. Gut, man kann das Verlangen nach Zucker mit Nikotin, Alkohol oder stärkere Drogen bekämpfen. Aber ob dies finanzierbar ist und erst noch Sinn macht?

Beim Zuckersüchtigen sind zwei Dinge gestört. Mindestens. Zum einen ist das Gleichgewicht zwischen den Botenstoffen im Gehirn gestört – nämlich vor allem zwischen   Serotonin und Dopamin. Echtes süchtiges Verhalten entsteht, wenn der Serotoninspiegel zu niedrig und der Dopaminspiegel gleichzeitig zu hoch ist oder wenn beide Botenstoffe in zu geringen Konzentrationen vorhanden sind. Aha.

Nun, so ganz ohne Zucker geht's ja auch nicht, denn der Körper braucht eine Portion Zucker, um leistungsfähig zu bleiben. Aber auch hier kommt es immer auf die Dosierung an. Und diese ist eindeutig zu hoch, meinem Verhalten und vor allem meinem Gewicht nach zu urteilen. Wobei ich mich ja nicht selbst verurteilen... häh?

Nun, der Anfang jeglicher Besserung ist die eigene Einsicht, dass hier etwas ganz und gar schiefläuft. Und beginnt mit dem Satz: "Ich heisse Christian und bin ein Zuckersüchtiger."

Obwohl ich meist mit Joggen im Training bin - drei bis viermal wöchentlich mindestens - bleibt mein Übergewicht seit Monaten unverändert. Dies hat nicht nur mich gewundert und geärgert, sondern auch ausgewiesene Spezialisten aus dem Sport- und Medizinalbereich verwundert nachfragen lassen. Nicht selten höre ich "Wieso nimmsch Du nid ab. Du trainiersch doch e soo viil?"

Drastische Änderungen stehen ins Haus. Das ist mir völlig klar. Beginnen wir mal bei den komplexeren Dingen, die ich täglich ändern muss. Als Texter bin ich dem Sprachschatz nicht nur ausgesetzt, sondern brauche diesen jeden Tag für meine Arbeit. Also verbergen sich auch hier bereits mögliche Gefahrenpunkte. Worte und Sätze wie "La dolce vita", "Zuckerhut", "Du bisch denn süess!" werden ab sofort aus der Wortschatzkammer verbannt. Jawoll.

Der Rest wird ebenso hart, aber machbar sein. Salate statt Glacé. Panini statt Gasparini. Kaffee statt Eistee.

Wie jeder Süchtige freue ich mich auf eine freiere Lebensweise. Denn wie der Ausdruck ja schon sagt, wäre das Leben dann eher weise. Und weniger Diabetes gefährdet. Na dann, ihr Süss... Ihr Leser, mache ich mich mal über die Obstschale her...

Sugar in the morning. Sugar in the evening. zoom
Sugar in the morning. Sugar in the evening.

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